Über das Projekt
Musica non grata
… und sie erklingt doch
Die Oper des Nationaltheaters Prag bietet für alle Musik- und Theaterliebhaber, für alle, denen die Kultur im mitteleuropäischen Raum, ihre Geschichte und ihre Gegenwart ein Anliegen ist, ein neues Projekt Musica non grata.
Der für vier Jahre geplante Zyklus von Opernvorstellungen, konzertanten Opernaufführungen und Konzerten der Kammermusik findet mit der Unterstützung des Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Prag statt.
Wie der Titel besagt, wird das Zentralthema unseres umfangreichen Zyklus die „unerwünschte Musik“ bilden, die Musik, die zum Schweigen gebracht und aus dem Verkehr gezogen wurde. Jene Musik, die nie mehr erklingen sollte, Musik, deren Komponisten der herrschenden Macht aus verschiedenen Gründen nicht genehm waren. Diese Macht hat viele von ihnen ausgegrenzt oder sogar physisch liquidiert. Es war diese Macht, die sich angemaßt hat, die Grenzen der Freiheit des menschlichen Geistes und seiner schöpferischen Kräfte diktieren zu wollen.
Der Untertitel „… und sie erklingt doch“ erinnert an den geflügelten Satz des großen italienischen Physikers des 17. Jahrhunderts, Galileo Galilei, der für seine wissenschaftliche Überzeugung vor ein Inquisitionsgericht gestellt wurde. Ob er diesen Satz tatsächlich gesagt hat oder er ein Erzeugnis einer späteren Legende ist – die Wahrheit seiner Worte „... sie bewegt sich doch“ zeigen die faktische „Ohnmacht der Mächtigen“ auf, die im 17. Jahrhundert und in allen anderen Jahrhunderten unserer Geschichte unverändert geblieben ist. Denn weder der Prozess gegen Galilei, die erzwungene Widerrufung seiner Ansichten, noch sein lebenslanger Hausarrest konnten etwas an der Tatsache ändern, dass sich die Erde tatsächlich um die Sonne dreht... Die Welt dreht sich, und die Musik, ähnlich dem Wasser, sucht sich ihre Wege über alle Hindernisse, sie umfließt große Berge, springt über die Dämme und strömt weiter, wohin es ihr gefällt.
Im Zentrum des Projekts Musica non grata steht vor allem die Musik von tschechischen und deutschen Komponisten, die die nationalsozialistische Ideologie in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts zum Schweigen bringen wollte. Es geht nicht nur um die bereits gut bekannten „Theresienstädter“ Komponisten Pavel Haas, Hans Krása, Gideon Klein oder Viktor Ullmann, sondern um eine ganze Reihe weiterer Musiker, in deren Lebensschicksale das totalitäre NS-Regime dramatisch eingegriffen hat. Wir wollen auch an die Lebenswege und künstlerischen Qualitäten solcher Persönlichkeiten wie Franz Schreker, Erwin Schulhoff, Rudolf Karel, Emil František Burian, Karel Berman oder Ludmila Peškařová erinnern, die wegen ihrer Herkunft, politischen Ansichten oder Aktivitäten im Widerstand verfolgt waren, aber auch an die, die zur Emigration gezwungen wurden und eine neue Heimat und manchmal auch neue Impulse in einer freien Welt gefunden haben, wie Ernst Křenek, Erich Wolfgang Korngold, Alexander Zemlinsky, Jaromír Weinberger, Bohuslav Martinů, Jaroslav Ježek, Vítězslava Kaprálová, Paul Hindemith, Kurt Weill, Hanns Eisler und auch z. B. an berühmte Operettenkomponisten wie Emmerich Kálmán oder Oscar Straus und viele andere.
Auch den großen Klassikern der Musik des 20. Jahrhunderts wie Igor Strawinski, Alban Berg oder Arnold Schönberg, wird unsere Aufmerksamkeit gelten – auch ihre „entartete“ Musik hätte aus der Welt getilgt werden sollen. Die offensichtliche Absurdität einer von Hass geprägten Ideologie wollen wir am Beispiel zweier der größten, aus rassistischen Gründen jedoch „disqualifizierter“ Komponisten aufzeigen – Felix Mendelssohn Bartholdy und Gustav Mahler, deren Werke die europäische Musikgeschichte wesentlich geprägt haben...
Die schöpferische Freiheit einer künstlerischen Individualität, ihre nationale, soziale Herkunft oder Rasse sind jedem totalitären Denken ein Dorn im Auge; seinen verborgenen und auch offenen Erscheinungsformen begegnen wir in unserer Umgebung bis heute. Es ist nicht „bloß eine Geschichte“. Der Zyklus Musica non grata will darauf aufmerksam machen, dass dieser verbrecherische Ungeist auch in unserem mitteleuropäischen Raum noch heute eine Gefahr darstellt. Wir versuchen dazu beitragen, dass die Nachwelt die Fehler ihrer Vorfahren nicht mehr wiederholt. Unser Zyklus will auch – und vielleicht vor allem – eine Huldigung an die Musik als solche sein, eine Hommage an eine Kunst, die nicht zum Schweigen gebracht werden kann.
Dramaturgischer Beirat



