Hans Krása

30/11/1899 Prag, 18/10/1944 Auschwitz  

„Ich gestehe, daß ich mutig genug bin, als moderner Komponist melodiös zu komponieren. Damit ist auch meine Stellung zur Musik, ob sie nun modern heißt oder nicht, gekennzeichnet: strenge Fundiertheit innerhalb zugänglicher Melodik.“ 
Hans Krása

Casta Diva aus der Oper Verlobung im Traum

Biografie

Hans Krása wurde als drittes von fünf Kindern in die gut situierte Familie des Prager Advokaten Karl Krása und dessen Frau Amalia, geb. Steiner, geboren. Wahrscheinlich war es die Mutter, der er die Liebe zur Poesie und Musik zu verdanken hatte, während der Vater die materielle Seite absicherte. Zumindest konnte er sich bis zum Kriegsausbruch ohne größere Sorgen der Musik widmen, lernte als Kind Klavier bei Therese Wallerstein (im Hause Krása befanden sich zwei Flügel) und Violine beim Konzertmeister des Neuen deutschen Theaters, Josef Frankenbusch. Auch begann er schon früh mit den ersten Kompositionsversuchen. Im Rahmen eines Familienurlaubs in einem Salzburger Kurort ließ der Vater gar eine Komposition seines damals elfjährigen Sohnes vom dortigen Orchester aufführen; dasselbe wiederholte sich 1913 in Sankt Moritz. Nach der üblichen Schulausbildung am am deutschen Realgymnasium in Prag wurde Alexander Zemlinsky, ab 1920 Rektor der Deutschen Akademie für Musik und darstellende Kunst und Opernchef des Neuen deutschen Theaters, auf ihn und seine Begabung aufmerksam. Unter seiner Anleitung komponierte Krása, der für die Werke von Gustav Mahler und Arnold Schönberg schwärmte, dann auch sein Opus 1: Orchestergrotesken mit begleitender Singstimme nach den Galgenliedern von Christian Morgenstern, die Zemlinsky im Mai 1921 im Zyklus der Philharmonischen Konzerte des Neuen deutschen Theaters uraufführte. 

Durch die positive Kritik von Max Brod ermutigt, folgte sein Streichquartett op. 2, das auch in Paris Aufmerksamkeit fand. Krása war im Jahre 1922 dorthin gereist, um sein Studium bei Albert Roussel fortzusetzen. Obwohl sein Aufenthalt nur einige wenige Monate dauerte, schloss er hier einige Freundschaften, unter anderen mit Mitgliedern der so genannten Groupe des Six. Noch in Paris begann er mit seinen Arbeiten an der Symphonie für kleines Orchester, die 1923 im Théâtre des Champs-Elysées uraufgeführt wurde. Sie war sein erster großer Erfolg, repräsentierte 1926 die Tschechoslowakei beim Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Zürich und wurde später auch von Sergei Koussevitzky mit dem Boston Symphony Orchestra und Leopold Stokowski mit dem Philadelphia Orchestra gespielt. In Prag hatte sich abermals Alexander Zemlinsky um das Werk bemüht und es 1927 mit der Tschechischen Philharmonie erstaufgeführt. Bei allen diesen Gelegenheiten waren lediglich die beiden damals vorliegenden orchestralen Sätze gespielt worden; der dritte vokale Satz folgte erst später. Das diesem zugrundeliegende Gedicht von Arthur Rimbaud hatte Max Brod ins Deutsche übersetzt, der Krása auch zu einem Vertrag mit der Wiener Universal Edition verholfen hatte. 1926 erschien hier die komplette Symphonie für kleines Orchester, gemeinsam mit dem neuen Liederzyklus op. 4, an dem Brod ebenfalls als Übersetzer beteiligt war.

Krásas im Jahre 1923 in Paris uraufgeführte Symphonie für kleines Orchester wurde in Boston, Philadelphia, Zürich und Prag gespielt. Der junge Komponist hatte eine internationale Karriere vor sich.

Glückliche Jahre
Nach seiner Rückkehr aus Paris verbrachte Krása schöne Jahre im Kreis der damaligen intellektuellen Elite, darunter seine Freunde in der Redaktion des Prager Tagblatts. Im Café Slavia fand er Gesprächspartner unter den tschechischen Literaten, auch im legendären Café Arco, zu dessen Gästen Franz Kafka und Milena Jesenská gehörten, die Krása nahestanden; sein Name findet sich auch in Kafkas Briefen an Milena

Dunkle Wolken
Im Jahre 1927 reiste er nach Berlin, wahrscheinlich um Alexander Zemlinsky zu folgen, der Kapellmeister an der Kroll-Oper geworden war. Auftritte als Dirigent in Paris und Chicago knüpften an. Schließlich kehrte er nach Prag zurück und begann 1928 mit der Komposition seiner Oper Verlobung im Traum nach der Erzählung von Fjodor Dostojewskis Onkelchens Traum. Die Librettisten waren Rudolf Thomas (1895–1938), der Chefredakteur des Prager Tagblatts, und der Dichter Rudolf Fuchs (1890–1942). Die Oper wurde 1930 vollendet, musste aber drei Jahre auf die Uraufführung warten. Am 18. Mai 1933 fand die Premiere am Prager Neuen deutschen Theater unter Georg Széll in der Regie von Renato Mordo statt. Im selben Jahr wurde die Oper, die ebenso im Tschechoslowakischen Rundfunk übertragen wurde, mit dem Tschechoslowakischen Staatspreis ausgezeichnet. Für eine Aufführung in Deutschland war es jedoch schon zu spät. Die Musik eines jüdischen Komponisten hatte nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler keine Chance mehr, gespielt zu werden. 

1935 folgte das nächste größere Werk: die Musik zu Adolf Hoffmeisters Bühnenwerk Mládí ve hře (Jugend im Spiel), das an Emil František Burians Prager Theater „D35“ aufgeführt wurde. Im selben Jahr wurde es auch in der Übersetzung von Friedrich Torberg unter dem Titel Anna sagt nein auf der Kleinen Bühne des Neuen deutschen Theaters gespielt. Das „Lied der Anna“ avancierte für kurze Zeit zu einem Hit. Später verwendete es Krása in seinem Thema mit Variationen für Streichquartett und in der Kammermusik für Cembalo und sieben Instrumente. Die Kammermusik stand auch am Programm eines Sonderabends im Verein der bildenden Künstler Mánes, zusammen mit Werken von Pavel Bořkovec, František Bartoš, Iša Krejčí und Jaroslav Ježek. Trotz seiner starken Verankerung in der deutschen Kultur und Sprache fühlte sich Hans Krása den tschechischen Künstlern verbunden, was seine Mitgliedschaft im Mánes-Verein belegt. Als Reaktion auf den nationalsozialistischen Terror gegen die jüdische Bevölkerung hatte er sich später geweigert, deutschsprachige Texte zu vertonen.

Die Oper Verlobung im Traum hatte das Interesse der Opern in Berlin und Dresden erweckt, auch an eine Aufführung an der heutigen Wiener Staatsoper wurde gedacht. Die Uraufführung fand am 18. Mai 1933 am Neuen deutschen Theater in Prag statt.

Brundibár
An diese erste Zusammenarbeit mit Adolf Hoffmeister schloss sich ein weiteres Projekt an, dem Krasá heute wohl einen Großteil seiner Popularität verdanken dürfte: die Kinderoper Brundibár, die im Jahre 1938 für einen vom Ministerium für Kultur und Volksbildung ausgeschriebenen Wettbewerb entstand (zur Sichtung der eingesendete Werke kam es nicht mehr, da die Tschechoslowakische Republik im März 1939 von der deutschen  Wehrmacht besetzt worden war). Im Prager jüdischen Waisenhaus in der Begická Straße hatten die Zöglinge unter der Leitung des Dirigenten, Pianisten und Komponisten Rafael Schächter mit der Einstudierung der Oper begonnen. Schächter war später, wie Krása und andere, am Kulturleben in Theresienstadt beteiligt; er starb im Jahre 1945 auf dem Todesmarsch aus Auschwitz. Die Idee, Brundibár zu spielen, war anlässlich des 50. Geburtstags des Direktors des Waisenhauses, Otto Freudenfeld, entstanden, worüber unter anderem dessen Sohn Rudolf (der nach dem Krieg seinen Namen auf Rudolf Franěk geändert hatte) berichtet. Er hatte 1943 auch den Klavierauszug der Oper nach Theresienstadt geschmuggelt. „Rafik [Rafael Schächter] war ein Mann raschen Entschlusses: ‚Nicht wahr, Sie wissen, dass Hans zusammen mit Hoffmeister eine Kinderoper geschrieben hat, die noch nicht aufgeführt worden ist? Aber wir werden es mit ihren Kindern machen!‘ So begann es. Schächter kam einmal in der Woche und probte voll Energie. Darüber hinaus trug er mir auf, während der Woche mit den Kindern zu proben, und sagte mir dabei genau, was ich tun sollte. Ich wurde tatsächlich sein Schüler. Wenn es ihm danach zumute war, unterrichtete er mir auch die Harmonielehre. Wir waren sehr fleißig, und unsere Arbeit machte rasche Fortschritte. Den Kindern gefiel die Oper vom ersten Augenblick, die Musik ebenso wie der Text. Beide sind für Kinder auch wirklich geeignet, die Musik ist modern und melodienreich, wie es in einer Oper sein soll. Wir führten unsere Arbeit jedoch nicht zu Ende. Die ersten Transporte gingen ab. Rafik musste uns verlassen, und dann kamen auch die Kinder an die Reihe. Dann wurde Krása deportiert, ihm folgten wieder Kinder. Kinder wurden deportiert. Und wieder: Kinder wurden deportiert. Transporte. Lange konnten wir den Schock nicht überwinden. Die Zeiten waren aber so, dass wir jeden Moment auszunützen lernten, in dem die Spannung des Wartens auf das Ärgste, das kommen sollte, etwas nachließ. Im Waisenhaus erreichten die kulturellen Veranstaltungen ein höheres Niveau als je zuvor. Besucher übernachteten bei uns, und an den Abenden lasen wir Gedichte und Stücke oder veranstalteten Hauskonzerte. Als dann für jüdische Kinder jeglicher Schulunterricht verboten wurde, fanden wir für sie in den ‚Heimen‘ Arbeit. Und in einem solchen Heim in Hagibor begann ich – zuerst mehr des bloßen Vergnügens wegen – neuerlich mit Proben für Brundibár. Der Arch. Zelenka übernahm die Regie und entwarf auch ein wunderbares Bühnenbild. Er stellte einen Zaun hin, der aus mehreren Brettern bestand, und befestigte drei Plakate darauf. Auf diesen Plakaten waren in sehr witzigen Form der Sperling, die Katze und der Hund abgebildet. […] Wir hatten weder eine Partitur noch ein Orchester, und es wäre damals unmöglich gewesen, das eine wie das andere zu beschaffen. Löffelholz, Berkovič und Kaufman – Klavier, Violine, Schlagwerk – spielten daher mit großer Begeisterung nach dem Klavierauszug. Ich dirigierte die Aufführung von einer Ecke nahe dem Orchester. Wir konnten nur ungefähr 150 Personen einladen, und diese mussten einzeln kommen und gehen, um nicht die Aufmerksamkeit der Wachmannschaften auf uns zu lenken. Wir führten die Oper zweimal mit großem Erfolg auf.“

Die Oper wurde um die Jahreswende 1942/1943 aufgeführt. Krasá selbst konnte sie nicht mehr sehen, da er bereits am 10. August 1942 nach Theresienstadt deportiert worden war. Aufgrund des geschmuggelten Klavierauszugs erstellte er hier für die Instrumente, die ihm zur Verfügung standen, eine neue Partitur, woran eine abermalige Einstudierung anknüpfte. Die Uraufführung der Theresienstädter Fassung – neben der Prager die zweite Version der Oper – fand am 23. September 1943 in der Magdeburger Kaserne statt. Der Dirigent war Rudolf Franěk. Nach den verfügbaren Angaben gab es 55 Wiederholungen. Im Jahr 1944 wurde das Theresienstädter Lager von einer Kommission des Internationalen Roten Kreuzes besucht. Ihr wurde ein „Musterlager“ vorgetäuscht, womit sich die internationale Öffenlichkeit von der vermeintlich fürsorglichen Behandlung der jüdischen Bevölkerung überzeugen sollte. Auch Brundibár wurde im Zuge dessen gespielt. Der Bühnenbildner František Zelenka hatte eigens neues Material für Kostüme und Dekorationen erhalten; die Aufführung selbst fand in der Turnhalle etwas außerhalb statt. Die Finalszene wurde gefilmt, als Bestandteil des nationalsozialistischen Propagandafilms Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet, der heute ebenso unter dem Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt bekannt ist und unter anderen im Rahmen des Besuchs des Roten Kreuzes gezeigt wurde. „Auf diese Weise tauschten wir das Leid des Alltags mit dem Traum von dem freien Leben auf der anderen Seite des Stacheldrahts, wo wir uns satt essen konnten, aus. Die Kinderoper Brundibár wurde für uns ein Hoffnungsschimmer, ein Licht im Dunkel der Gefangenschaft,“ so erinnerte sich Paul Sandfort nach dem Krieg an die Theresienstädter Aufführung, damals dreizehnjährig und als Trompeter einer der Mitwirkenden.

Ein authentischer Ausschnitt aus der Theresienstädter Aufführung der Oper Brundibár im Jahre 1944, deren Finalszene für den Nazi-Propagandafilm Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet gedreht wurde.

Der Mutige
Hans Krása wurde in Theresienstadt zu einer führenden Persönlichkeit der so genannten „Freizeitgestaltung“, einer Abteilung innerhalb der Lagerstruktur, die von den Nazis unter anderem aus Propagandazwecken gestattet war. Die Unsicherheit ihrer stets gefährdeten Existenz und die Notwendigkeit einer Ablenkung führten die Musikerinnen und Musiker zu einer Kreativität, die in einem der bemerkenswertesten Musikbetriebe im besetzten Europa resultierte. Unter den Theresienstädten Künstlern befanden sich auch der Komponist, Pianist und Musikpublizist Karel Reiner, der Dirigent Karel Ančerl, der Opernsänger Karel Berman, die Komponisten Pavel Haas, Viktor Ullmann sowie Gideon Klein, der als hervorragender Pianist im Lager auch eigene Rezitals veranstaltet hatte. Für kurze Zeit waren Klein und Krása auch verschwägert, als Letzterer Kleins Schwester Eliška geheiratet hatte. Es handelte sich dabei allerdings um eine Scheinehe, da die beiden glaubten, als Ehepaar Erleichterungen erlangen zu können. Während seines 26 Monate dauernden Aufenthalts in Theresienstadt komponierte Krása die Drei Lieder für Bariton, Klarinette, Viola und Violoncello (1943), wieder nach Texten von Arthur Rimbaud in der tschechischen Übersetzung von Vítězslav Nezval, einen Tanz für Streichtrio (1943–1944), die Overtüre für kleines Orchester (1943–1944) und sein letztes Werk, eine Form von Testament: die Passacaglia und Fuge für Streichtrio (1944). Kurz nach der Vollendung wurde er am 16. Oktober 1944 zusammen mit Ullmann, Haas, Klein und weiteren Künstlern ins Vernichtungslager Auschwitz transportiert; wenig später wurde er in den Gaskammern des Lagers ermordet.

„Hans Krása war ein feiner Mann, leicht dekadent, gesellig, wenn auch ziemlich schüchtern“, so erinnerte sich der Pianist Václav Holzknecht am Ende der 1960er-Jahre an ihn. Den Berichten seiner Zeitgenossen zufolge war Krása ein Künstler, der das Komponieren nicht als Beruf, als Existenzgrundlage, sondern auch aus Freude am eigenen Schaffen betrachtete. Dem mag ein wesentlicher Charakter seiner Musik entsprechen: Sie ist originell und drückt eine künstlerische Überzeugung aus, die voller Intelligenz, Witz, Tiefgründigkeit und vor allem Menschlichkeit ist. 

Das musikalische Testament von Hans Krása – Passacaglia und Fuge für Streichtrio. Er komponierte das Werk kurz vor dem am 16. Oktober 1944 aus Theresienstadt nach Auschwitz abgehenden „Künstlertransport“.

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