Paul Hindemith

16/11/1895 Hanau, 28/12/1963 Frankfurt am Main  

„Ein Komponist sollte heute nur schreiben, wenn er weiß, für welchen Bedarf er schreibt. Die Zeiten des steten Für-sich-Komponierens sind vielleicht für immer vorbei.“ Paul Hindemith

Paul Hindemith verkörpert den Prototyp einer komplexen musikalischen Persönlichkeit. Er war nicht nur ein hervorragender Komponist in fast allen Genres der klassischen Musik, inklusive Musik für Film und Rundfunk, sondern auch ein großartiger Geiger und Bratschist, Mitglied von mehreren international erfolgreichen Kammerensembles, Musiktheoretiker, Pädagoge und Musikpublizist. Er ist Autor einiger Fachbücher und -studien, unter anderen des im Jahre 1937 erschienen Lehrbuchs Unterweisung im Tonsatz. Nach seinen turbulenten Anfängen, in denen er auf Expressionismus, Surrealismus und Dadaismus reagierte, hatte er seine Welt im durchdachten kontrapunktischen System und in den Formen des Barocks gefunden und wurde so zu einem führenden deutschen Vertreter der sogenannten Neuen Sachlichkeit– der Musik mit fester, rationaler Konstruktion, dem Gegenteil zur emotional zerrissenen Spätromantik. 

Biografie

Paul Hindemith wurde am 16. November 1895 im hessischen Hanau als der älteste Sohn von Maler und Anstreicher Robert Hindemith (1870–1915) und seiner Frau Marie, geb. Warnecke (1868–1949), geboren. Im Jahre 1898 kam die Schwester Antonie auf die Welt, zwei Jahre danach der Bruder Rudolf. Um 1910 bildeten die Geschwister ein „Frankfurter Kindertrio“ (Toni spielte Klavier, Rudolf Cello und Paul Bratsche). Der Vater selbst war ein Musikfanatiker, der ebenso den Wunsch gehegt hatte, Musiker zu werden (was ihm von dessen Vater verwehrt wurde). Entsprechend übte er starken Druck auf seine Söhne aus, die neben ihren Hauptinstrumenten –Violine bei Paul, Violoncello bei Rudolf – auch Klavier und mehrere Blasinstrumente lernten. Vielleicht die glücklichsten Jahre seiner Kindheit erlebte Paul in den Jahren 1899–1902 bei seinen Großeltern väterlicherseits im sächsischen Naumburg, bevor nach seiner Rückkehr nach Hause schwere Zeiten für ihn begannen, weil „der Junge total verdorben“ und „der Bengel die erste Zeit büßen [müsse], bis der Pfiff wieder drinnen war,“ wie es Vater Robert in einem Brief an die spätere Mäzenatin Pauls, Emma Ronnefeldt, drastisch formulierte. Die Beziehung zwischen Sohn und Vater blieb angespannt. Robert Hindemith fiel 1915 an der französischen Front .Paul selbst soll angeblich noch lange Zeit Angst vor der Vorstellung gehabt haben, dass er zurückkehren könnte.

Im Jahre 1905 siedelte die Familie nach Frankfurt über. Paul schloss die Grundschule mit hervorragenden Ergebnissen ab, für sein weiteres Studium fehlte der Familie aber das Geld. Dank dem Dirigenten der Frankfurter Oper, Adolf Rebner, wurde er 1909 in dessen Violinklasse am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main aufgenommen und erhielt dank ihm auch ein dringend benötigtes Stipendium. Neben Violine studierte Paul auch Kontrapunkt und Komposition bei Arnold Mendelssohn und Bernhard Sekles, Partiturlesen bei Karl Breidenstein und Dirigieren bei Fritz Bassermann. Die außergewöhnliche musikalische Begabung öffnete nicht nur Paul, sondern auch seinem Bruder Rudolf die Türen zur Frankfurter Gesellschaft und nach und nach auch zur materiellen Unterstützung, die ihnen zunehmend durch wohlhabendere Familien und Privatpersonen aus Frankfurt, Aarau, Mainz und Friedberg, konkret von den Familien Ronnefeldt, von Karl Schmidt, Emma Lübbecke-Job und Fried Lübbecke, Irene Hendorf und weiteren, zuteil wurde. Paul blieb ihnen bis zu seinem Lebensende dankbar verbunden. 

Klub Urian

Im Jahre 1913 schrieb Paul Hindemith an seine Freunde: „Als größte Errungenschaft der letzten Monate wäre die Gründung unseres Conservatoriums-Clubs ‚Urian‘ zu nennen. Wir sind 6 Mitglieder (einer immer verrückter als der andere) und bezwecken hauptsächlich, uns zu amüsieren. [...] Wir machen auch Musik, jedoch solche, welche nur extra präparierte Ohren ertragen können. Am besten solche, die mit Watte zugestopft sind. Wir haben ein Drama mit Musik verbrochen, welches wir nach Neujahr aufführen werden. Auch Sie sind herzlich dazu eingeladen. Bringen Sie aber bitte gleich Aspirin mit.“ Der Klub Urian hatte Hindemith inspiriert: In den Jahren 1913–1920 schrieb er unter dessen Einfluss sieben – wie er sie nannte – „dramatische Meisterwerke“– absurde, teilweise surrealistische Stücke, deren Sujets meistens einen autobiographischen Hintergrund hatten. Das im zitierten Brief Hindemiths erwähnte Stück war wahrscheinlich Das Leben dringt in die Zelle, von dem nur zwei Skizzen erhalten geblieben sind.

Frankfurter Oper
Hindemith galt als sehr begabter Violinist, dessen „weicher, schöner Ton“ und „gefühlvoller Ausdruck“ große Anerkennung fanden. In einer Kritik im Karlsruher Tagblatt vom 5. Februar 1916 sind folgende Worte zu lesen: „Abgeklärte makellose Sauberkeit der Finger- und Bogentechnik, bestechende Noblesse des Tones, mitreißender Schwung und tiefe Verinnerlichung zeichnen sein Spiel aus.“ Er war noch keine 20 Jahre alt, als er in die Gruppe der 1. Violinen im Orchester der Frankfurter Oper aufgenommen wurde. Zwei Jahre war er als Vertreter des Konzertmeisters tätig und wurde im März 1916 zum Konzertmeister ernannt, dem jüngsten in der Geschichte des Frankfurter Opernhauses. „Das Probespiel wurde mir zwar sehr schwer gemacht. Erst wurde ich nämlich auf die Intendanz bestellt ohne dass ich überhaupt wusste, was ich da sollte. Ich habe da dem Intendanten und den beiden Kapellmeistern gänzlich unvorbereitet je den 1. Satz des Brahms- u. Beethoven-Konzertes, das ganze Mendelssohn-Konzert sowie die Chaconne vorgespielt, was für die Herren natürlich eine grosse Überraschung war. Am Donnerstag darauf absolvierte ich noch einmal ein Probespiel, wo ausser den genannten Herren noch der Amsterdamer Kapellmeister Willem Mengelberg (der Leiter der hiesigen Museumskonzerte) und eine Menge unserer Orchestermitglieder da waren. [...] Es ging alles gut, aber Mengelberg [...] wollte mir absolut die Stelle nicht zuerkennen, ‚weil ich viel zu jung‘ sei, ich habe aber gehört, dass er einen anderen Geiger dafür in petto hatte. Als ich aber dann noch äußerst schwierige Stellen aus der Salome vorgelegt bekam (die ich nie gesehen hatte) und sie glatt vom Blatt spielte, konnte er natürlich auch nichts mehr einwenden.“ Die zeitraubende Position des Konzertmeisters gab Hindemith im Jahre 1922 wieder auf, nachdem ihm der Schott-Verlag, mit dem er 1919 einen Exklusivvertrag zur Veröffentlichung seiner Werke abgeschlossen hatte, ein regelmäßiges monatliches Honorar zu zahlen begonnen hatte. Hindemith blieb Schott zeitlebens treu, vor allem mit dem Verleger Willy Strecker verband ihn eine große Freundschaft.

Der Erste Weltkrieg
Den Beginn des Ersten Weltkrieges erlebte Hindemith in der Schweiz, wo er als Geiger im Kurorchester in Heiden einen Nebenverdienst hatte. Sein anfänglicher Enthusiasmus, „seinem Land zu dienen“, dessentwegen er seinen Aufenthalt in der Schweiz abgebrochen hatte, hatte allmählich nachgelassen, als ihn die ersten schockierenden Nachrichten von der Front erreichten. Zweimal wurde er einberufen, aus gesundheitlichen Gründen aber nicht eingezogen. Im August 1917 trat er schließlich einer Militärkapelle bei, in der er ein Streichquartett gründete und mit ihm hinter der Frontlinie konzertierte. Auch für das Komponieren blieb ihm Zeit: Es entstanden das Streichquartett Nr. 2 op. 10 und die zwei ersten Violinsonaten aus op. 11. Die Konfrontation mit dem Schrecken des Krieges blieb Hindemith aber nicht erspart, wie seine Tagebucheintragung vom 27. Mai 1918 bezeugt: „Gegen Abend werden 8 Bomben in die Nähe des Ortes geworfen. Eine trifft eine Munitionskolonne, die (10 Minuten von uns entfernt) biwakiert. [...] Ein entsetzlicher Anblick. Blut, durchlöcherte Körper, Hirn, ein abgerissener Pferdekopf, zersplitterte Knochen. Furchtbar! Wie gemein und gleichgültig man wird. Ich glaube nicht, dass ich früher hätte ruhig essen oder arbeiten können nach solchem Anblick – und nun sitzt man schon wieder ruhig daheim, schreibt, unterhält sich und ist guter Dinge – und denkt nicht daran, wie bald auch unser Stündlein schlagen kann.“

Ausschnitt aus Paul Hindemiths Frühwerk. Streichquartett Nr. 2 op. 10, komponiert hinter der Front im Jahre 1918. Kocian Quartett, 1995. 

Donaueschingen
Ein wichtiger Meilenstein in Hindemiths Karriere war das zum ersten Mal im Sommer 1921 veranstaltete Kammermusikfest in Donaueschingen, das mit dem Ziel gegründet worden war, jungen, noch unbekannten Komponisten den Weg auf die Konzertpodien zu bahnen. Von über 600 eingereichten Werken wurden nur zehn für das Programm des 1. Jahrgangs ausgewählt, darunter das Streichquartett Nr. 1 op. 4 des tschechischen Komponisten Alois Hába. Zum Glanzpunkt wurde jedoch Paul Hindemith mit seinem Streichquartett Nr. 3 op. 16, das ihn buchstäblich über Nacht zu einem der bedeutendsten deutschen Avantgarde-Komponisten machte. Die Presse war begeistert: „Hindemith's Komposition zeigt eine reiche, originale Erfindungsgabe, eine Kühnheit der Disposition und Komposition, die ihn als hervorragendes Talent erkennen lässt.“ Ein weiterer Triumph kam im Jahre 1922 mit der Aufführung der Kammermusik Nr. 1 op. 24 und des Liederzyklus Die junge Magd op. 23 nach Georg Trakl. Im Jahre 1923 wurde Hindemith Mitglied des Programmausschusses, auf seine Initiative hin wurden hier 1924 erstmals Werke von Arnold Schönberg und Anton Webern gespielt. 1927 wurde das Festival nach Baden-Baden verlegt und in Deutsche Kammermusik Baden-Baden umbenannt.

Streichquartett Nr. 3 op. 16, 1921 bei den Donaueschinger Festspielen aufgeführt, machte Paul Hindemith zu einem der bedeutendsten deutschen Avantgarde-Komponisten. Danish String Quartet

Kammermusik
Außer der Violine hatte Paul Hindemith auch die Bratsche hervorragend beherrscht und sie als Solist und in Kammermusikensembles gespielt. Im Jahre 1914 wurde er Primarius des Rebner-Quartetts und später dessen Bratschist. Das Ensemble hatte sich auf die Werke von Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven konzentriert, was dem progressiven Hindemith bald zu wenig war. „Diese Musik müsste für fünf Jahre verboten werden!“, notierte er sich. Seine Unzufriedenheit mit dem Repertoire war der Grund, warum er das Rebner-Quartett im Jahre 1921 wieder verließ. Im selben Jahr kam es dann zur erstmaligen Gestaltung des für ihn wesentlichen Kammermusikensembles, im 1. Jahrgang der Donaueschinger Musiktage und im Zusammenhang mit der Aufführung seines Streichquartetts Nr. 3 op. 16: Aus dem gelegentlich zusammengesetzten Ensemble, in dem Paul die Bratsche und sein Bruder Rudolf das Violoncello spielten, entstand 1922 offiziell das Amar-Quartett, das nach seinem Primarius, Licco Amar, benannt wurde. Das Repertoire bestand vor allem aus neuen Werken. Hindemith war bis 1929 Mitglied, bevor er zusammen mit dem Geiger Josef Wolfsthal, der nach seinem frühen Tod 1931 durch seinen Schüler Szymon Goldberg ersetzt wurde, und dem Cellisten Emanuel Feuermann ein Streichtrio gründete und bis März 1934 mit ihm zahlreiche Konzerte gab.

Diese Erfahrungen blieben nicht ohne Einfluss auf Hindemiths Schaffen, in den Jahren 1920–1934 entstand ein wesentlicher Teil seiner Kammermusikwerke: 1920–123 drei Streichquartette (op. 16, op. 22 und op. 32), Kleine Kammermusik für Bläserquintett op. 24/2 (1922), Drei Stücke für fünf Instrumente (Klarinette in B, Trompete in C, Violine, Kontrabass und Klavier, 1925), Streichtrios Nr. 1 und Nr. 2 (1924, 1933), Sonaten für Violine Solo, Bratsche Solo und Violoncello Solo op. 25 und op. 31, Violinsonate Nr. 2 op. 25, Suite „1922“ op. 26 für Klavier, Klaviermusik op. 37 (1924–1926), Kanonische Sonatine für 2 Flöten op. 31, Acht Stücke für Solo Flöte (1927), Kleine Klaviermusik (1929) und die Stücke für Kontrabass Solo aus dem Jahre 1929. In den Jahren 1922–1927 entstand zudem ein wichtiger siebenteiliger Zyklus von konzertanten Werke unter dem Gesamttitel Kammermusik entstanden (op. 24, 36 und 46), der verschiedene Besetzungen in Verbindung mit Soloinstrumenten (Klavier, Violoncello, Violine, Viola, Viola d’amore und Orgel) bietet. An der Wende der 1920er und 1930er Jahre schrieb Hindemith den Triosatz für drei Gitarren (1925–1930), Trio für Bratsche, Heckelphon (oder Tenorsaxophon) und Klavier op. 47 (1928), Konzertstück für zwei Altsaxophone (1933), Morgenmusik für Trompete, Posaune und Tuba (1932), Abendkonzert für drei Blockflöten, oder sieben Stücke für Trautonium mit dem Titel Des kleinen Elektromusikers Lieblinge (1930).

Auch ein großer Teil von Hindemiths Liedern fällt in die 1920er Jahre. Er wurde vom literarischen Expressionismus fasziniert und vertonte Gedichte von Else Lasker-Schüler und Georg Trakl, Christian Morgenstern und Rainer Maria Rilke. Es entstanden die Zyklen Melancholie op. 13 nach Christian Morgenstern (1919), Walt Whitman-Hymnen op. 14 (1919) und Acht Lieder op. 18 (1920). Im Jahre 1922 komponierte er zudem Des Todes Tod op. 23a nach Eduard Reinacher und den bereits erwähnten Zyklus Die junge Magd op. 23 nach Georg Trakl. Sein Liedschaffen dieser Zeit vollendete er mit den Zyklen Das Marienleben op. 27 nach Gedichten von Rainer Maria Rilke (zwei Fassungen, 1923 und 1948) und Die Serenaden op. 35 (1924). In den 1930er und 1940er Jahren waren es u. a. Lieder nach Friedrich Hölderlin für Tenor und Klavier (1933–1935), 9 English Songs (1942–1943) und viele weitere einzelne Lieder oder Liederzyklen nach Angelus Silesius, Clemens Brentano, Friedrich Nietzsche, Friedrich Rückert, John Keats oder Charles Baudelaire. Über Hindemiths Vorstellung vom Charakter vertonter Texte können wir in einem Brief an den Dichter Eduard Reinacher aus dem Jahr 1930 lesen: „Wenn ich aus einem Text ein Lied machen soll, so muß er lockere Stellen haben, die vom Dichter gewissermaßen ausgespart sind, freigelassen für den Komponisten, derart, daß die Musik hier gebraucht wird.“ 

Zu den Liedern kamen über die Jahre zudem zahlreiche Kompositionen für Knaben-, Frauen-, Männer- und gemischte Chöre hinzu: Chansons für Männerchor (1939), vier Chöre nach Texten mittelalterlicher Dichter für gemischten Chor und Blechbläser Apparebit repentina dies (1947), The Demon of the Gibbet für Männerchor (1949), Canon für Männerchor und Tuba aus dem Jahre 1959 und weitere. 

Das Marienleben op. 27 (Fassung aus dem Jahre 1948) nach Rainer Maria Rilke in der brillianten Wiedergabe von Rachel Harnisch und Jan Philip Schulz © Naxos

Berlín
Im Jahre 1927 nahm Hindemith eine Berufung als Professor für Komposition an der Hochschule für Musik in Berlin an. Nach Franz Schreker, der ab 1920 an der Spitze dieses Instituts gestanden hatte, war mit Hindemith eine weitere herausragende Komponistenpersönlichkeit gekommen. In Berlin hatte Hindemith eine große Affinität zum Film entwickelt, vor allem liebte er die Filme mit Charlie Chaplin, Buster Keaton und  Harold Lloyd. Er besuchte Kabarettvorstellungen und spektakuläre moderne Inszenierungen in der Krolloper, die ab 1927 von Otto Klemperer künstlerisch geleitet wurde (auch Alexander Zemlinsky war 1927 hierher gekommen; hier wurde auch Werke von ihm zur Aufführung gebracht, etwa vom Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy. Hindemith genoss zudem die Freundschaft vieler großer Künstler – unter anderem Darius Milhaud, Igor Strawinski, Artur Schnabel oder Walter Gieseking –, besuchte mitseiner Frau Gertrud (geb. Rottenberg) Fußballspiele und erwarb den Führerschein. Auch lernte er in Berlin Latein und Mathematik und verbesserte sein Bratschenspiel. Im Oktober 1929 trat er in der Londoner Queen’s Hall als Solist in der Uraufführung des Viola Concerto von William Walton auf, im Dezember desselben Jahres im Concertgebouw Amsterdam mit dem ihm gewidmeten Concerto Nr. 1 Op. 108 von Darius Milhaud. In den Jahren 1927 und 1929 unternahm er außerdem zwei Tourneen durch das damalige Russland. 

Opernschaffen der 1920er Jahre
Von den Opern Paul Hindemiths gehören Cardillac (1925–1926/1952), Mathis der Maler (1934–1935) und Die Harmonie der Welt (1956–1957) zu den wichtigsten dieser Gattung im 20. Jahrhundert. Er kontrastiert in vielen seiner musiktheatralischen Werke zudem das Wagner’sche Konzept des Musikdramas, etwa mit der Parodie Ouvertüre zum Fliegenden Holländer, wie sie eine Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt aus dem Jahr 1925, womit er sich offen gegen Wagner stellte.

Im Jahre 1921 verursachten die Uraufführungen seiner Einakter Mörder, Hoffnung der Frauen (1919) nach einem Theaterstück von Oskar Kokoschka und Das Nusch-Nuschi (1920) nach einem Libretto von Franz Blei in Stuttgart einen Skandal. Ein Jahr danach hatte sich dies bei der Uraufführung von Hindemiths Einakter Sancta Susanna wiederholt. Nach einem Libretto von August Stramm war sie in nur zwei Wochen am Anfang des Jahres 1921 entstanden. Die Oper, in der eine Nonne ihren erotischen Fantasien erliegt und dafür von ihrer Ordensschwestern gnadenlos verdammt wird, war Hindemiths Auseinandersetzung mit dem Expressionismus, nicht nur thematisch, sondern auch im Einsatz musikalischer Mittel, die die Grenzen der Tonalität angreifen.

Im Jahre 1926 erfolgte eine Wendung im Opernschaffen Hindemiths. Nach einem Libretto von Ferdinand Lion schrieb er seine erste abendfüllende Oper, Cardillac, über einen Goldschmied, der seine Kunden tötet. Cardillac wird zu einem „Paradestück“ des Stils der sogenannten Neuen Sachlichkeit. Die Musik ist nüchtern, sie wirkt ein wenig desinteressiert, entspricht aber dennoch der Bedeutung der Szene und dem Kontext der Handlung. Cardillac arbeitet mit Arien, in denen sich die Stimme mit konzertanten Instrumenten verbindet, es gibt ein Duett, das in Form von Präludium und Fuge gestaltet ist, und auch die Form der Passacaglia. 

Nach langer Suche nach einem komischen Sujet entstand 1929 dann die Opernparodie Neues vom Tage; der Librettist war Marcellus Schiffer, mit dem er bereits an dem musikalischen Sketch Hin und Zurück (1927) gearbeitet hatte. Hindemith hat in diesem Werk ein breites Spektrum an Musikstilen verwendet: die für die sogenannte Zeitoper typischen Jazz-Elemente werden hier mit Arien im konventionellen Stil und ausgedehnten Kantilenen vermischt. Witzig ist die Szene, in der die Protagonistin Laura nackt in der Hotelbadewanne sitzt und eine Koloraturarie singt, in der sie die Warmwasserversorgung lobt – eine Szene, die bei den Nationalsozialisten besonderen Unmut hervorruf. Die „lustige Oper“ Neues vom Tage wurde 1929 von Otto Klemperer an der Berliner Krolloper uraufgeführt. 

Die Oper Cardillac über einen Goldschmied, der seine Kunden tötet, bildete einen entscheidenden Wendepunkt in Hindemiths Opernschaffen. Sie wurde zu einem Musterbeispiel für den Stil der sogenannten Neuen Sachlichkeit. Aufnahme einer Aufführung der Bayerischen Staatsoper aus dem Jahre 1985, dirigiert von Wolfgang Sawallisch, Regie: Jean-Pierre Ponnelle

Neue Medien
Die zunehmende Popularität neuer Medien in der Nachkriegszeit hatte auch Hindemith fasziniert. Bereits im Jahre 1921 kompnierte er die Musik für den Film In Sturm und Eis des Pioniers von Filmen aus der Bergwelt, des Regisseurs Arnold Fanck. Im Jahre 1927 folgten Felix der Kater und ein Jahr danach der Film Vormittagsspuk, der in Zusammenarbeit mit dem deutschen Repräsentanten des Dadaismus, dem Maler und Filmproduzenten Hans Richer, entstand. Das abstrakte Werk, in dem die durch die Musik unterstützte Bewegung eine wesentliche Rolle spielt, sodass sich der visuelle Aspekt nach und nach in ein intensives Musikerlebnis verwandelt, ist leider nicht erhalten geblieben. Nach seiner Übersiedlung nach Berlin hatte Hindemith auch in der dortigen Rundfunkversuchsstelle experimentiert. Seine Anekdoten für Radio aus dem Jahre 1925 sind eine der ersten Originakompositionen für dieses neue Medium. Für die Arbeitstagung „Neue Musik Berlin“ schuf er im Jahre 1930 das Hörspiel Sabinchen nach einem Text von Robert Seitz. Im Programmheft merkt er an: „Die Art, wie man bisher musikalische Hörspiele geschrieben hat, halte ich nicht für richtig. Sie sind entweder ein in seltensten Fällen künstlerischen Anforderungen genügendes Gemisch akustischer Tricks, bei denen die Musik die Sprechstimmen und Geräusche stört, oder sie sind so mit Musik versehen, dass kein Unterschied zwischen ihnen und einer Oper, einer Kantate oder irgendeinem Stück absoluter Musik besteht. Ich habe versucht, in dem Hörspiel ‚Sabinchen‘ die Musik als Grundlage alles akustischen Geschehens zu benützen. Die Musik bestimmt nicht nur den formalen Ablauf, aus ihr ergeben sich auch Rhythmus, Tonstärke und Farbe der jeweils benötigten sonstigen klanglichen Zutaten. Statt einer sinnlosen Aneinanderreihung akustischer Eindrücke soll dem Zuhörer eine seine künstlerischen Bedürfnisse befriedigende Komposition geboten werden, die mit den Mitteln der Mikrophonübertragung arbeitet und die Ausführung ohne sichtbaren Interpreten bewusst als Kunstmittel benutzt.“ 

Paul Hindemith hat auch für den Film gearbeitet. Ein Ausschnitt der Musik für den Film In Sturm und Eis von Arnold Fanck. Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Dirigent Dennis Russell Davies, 1996

Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht
Der Neudeutung des Musiktheaters an der Wende der 1920er und 1930er Jahre war auch Paul Hindemith nicht entgangen, hatte vielmehr zu einer kurzen Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht geführt. In diesen Jahren hatte dieser die Form für eine sogenannte „kollektive Kunstübung“ gesucht, die auch Hindemith in seiner „Gebrauchsmusik zum Selbstspielen“ entwickelt hat. Brecht hatte im Jahre 1929 betont, dass das „Musizieren“ an sich einen Nutzen bringe und nicht unbedingt zu nützlichen Zielen führen müsse. Das Tandem Brecht – Hindemith schuf in diesem Jahr zwei Bühnenwerke: An dem Lindberghflug, von Charles Lindberghs erstem Transatlantikflug inspiriert, war auch Kurt Weill beteiligt, der dann Hindemiths Musik aus dem Werk genommen und an ihrer Stelle neue Musik komponiert hatte. In Form einer Kantate wurde das Stück im selben Jahr an der Krolloper in Berlin unter der Leitung von Otto Klemperer aufgeführt. Das zweite Werk war mit Lehrstück benannt, ein avantgardistisches Musiktheaterkonzept, das pädagogische Ziele verfolgte, indem es gemeinsame Erfahrungen und musikalische Bildung durch gemeinsames Musizieren verbinden wollte. Im Jahre 1930 lösten sich die Ideen- und Arbeitswelten von Brecht und Hindemith. Zu ihrer offenen Trennung kam es während der Vorbereitungen zum Festival „Neue Musik Berlin“, als das Festivalkomitee, dem auch Hindemith angehörte, Brechts politisch motivierte Komposition Die Maßnahme abgelehnt hatte; Brecht warf dem Programmkomitee im Anschluss politische Zensur vor.

Zusammen mit Bertolt Brecht und Kurt Weill hat Paul Hindemith 1929 das musikdramatische Werk Der Lindberghflug geschrieben, eine Reaktion Brechts auf den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland.

Hindemith und das Dritte Reich

Trotz seiner internationalen und heimischen Erfolge war die Position von Paul Hindemith in Deutschland zu Beginn der 1930er Jahre alles andere als gesichert. Mit der wachsenden Macht der Nationalsozialisten verschlechterte sich seine Situation immer mehr, obwohl sich Anfang der 1930er Jahre zahlreiche prominente Persönlichkeiten der deutschen Musik für sein Wirken eingesetzt hatten, darunter Richard Strauss und der damalige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Wilhelm Furtwängler. Mit der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers im Januar 1933 wurde Hindemiths Musik systematisch von den deutschen Podien zurückgezogen, Konzertangebote wurden gestrichen, die reaktionären Kreise um den Parteiideologen der NSDAP, Alfred Rosenberg, bezeichneten seine Musik als „kulturbolschewistisch“. Ein Dorn im Auge der NS-Führer war auch Hindemiths Zusammenarbeit mit den jüdischen Kollegen Simon Goldberg und Emanuel Feuermann im Trio. Seine Frau Gertrud, bei der Berliner Akademie der Künste von 1937 zwar als „Arierin“ angegeben, wurde bei der Düsseldorfer Ausstellung „Entartete Musik“ 1938 jedoch bereits als von jüdischer Herkunft geächtet. Auch Hindemiths Auftritt im Zeichen der Solidarität mit den vom Regime Verfolgten am Weihnachtstag 1933 im Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit, in dem sein Schwager Hans Flesch damals inhaftiert war, passte nicht in das Bild des idealen Vertreters für das „neue Deutschland“. Seit 1934 konnten Hindemiths Kompositionen nicht mehr im Rundfunk ausgestrahlt werden, und 1936 musste der Präsident der Reichsmusikkammer, Peter Raabe, paradoxerweise ein Anhänger Hindemiths, aufgrund einer direkten Anweisung von Goebbels ein absolutes Verbot für die Aufführungen seiner Kompositionen erlassen. Trotz aller Schwierigkeiten durfte Hindemith aber weiterhin ins Ausland reisen. In den Jahren 1935–1937 konzertierte er in Italien, Frankreich, der Schweiz und der Türkei, wohin er zum ersten Mal auf Einladung des Präsidenten Kemal Atatürk gereist war. Zwischen 1935 und 1937 unternahm er insgesamt vier mehrmonatige Reisen in die Türkei, um dort beim Aufbau einer modernen Musikausbildung im westlichen Stil mitzuhelfen; 1935 war er an der Gründung des Konservatoriums in Ankara beteiligt.

Dass Hindemith ernsthaft über eine Auswanderung nachdachte, dazu hatten ihn die Ereignisse nach der Veröffentlichung eines Artikels des Dirigenten Wilhelm Furtwängler „Der Fall Hindemith“ in der Deutschen Allgemeinen Zeitung am 25. November 1934 veranlasst. Darin hatte dieser den jungen Komponisten verteidigt: „Sicher ist, dass für die Geltung deutscher Musik in der Welt keiner der jungen Generation mehr getan hat als Paul Hindemith. [...] Und weiter noch, auch darüber müssen uns klar sein: wir können es uns nicht leisten, angesichts der auf dem ganzen Welt herrschenden unsäglichen Armut an wahrhaft produktiven Musikern, auf einen Mann wie Hindemith so ohne weiteres zu verzichten.“ Die Reaktion kam sofort. Bereits am 6. Dezember bezeichnete Joseph Goebbels in einer Rede im Berliner Sportpalast Hindemith als  „atonalen Geräuschemacher“ und weiter: : „Denn der Nationalsozialismus ist nicht nur das politische und soziale, sondern auch das kulturelle Gewissen der Nation. [...] Das musste gesagt werden, um in dem Widerstreit der Meinungen Klarheit zu schaffen.“ Hindemith zog schnell die Konsequenzen: Bereits am Tag vor Goebbels’ Rede hatte er den Direktor der Berliner Musikhochschule ersucht, ihn „wegen der Ereignisse in den letzten Tagen auf unbestimmte Zeit zu beurlauben“. Aus seinen Schritten in den folgenden drei Jahren lässt sich bereits die Vorbereitung auf das Leben in der Emigration ablesen, insbesondere das Bemühen, für sich und seine Frau in den USA eine Existenz zu sichern. 1937 schreibt Gertrud Hindemith an Willy Strecker, den Verleger von Schott: „Du weißt ja, dass P. nicht voreilig in blinder Leidenschaft agiert, sondern dass in ihm alle Entschlüsse langsam aber sicher zur Reife kommen.“

Das Ehepaar Hindemith verließ Berlin im August 1938, vier Monate nach der Ausstellung „Entartete Musik“, in der auch Hindemiths Werke gezeigt wurden. Zuerst zogen sie in die Schweiz , woraufhin sie sich im Jahre 1940 für die folgenden 13 Jahre in den Vereinigten Staaten niederließen. Am 6. April 1939 schrieb Hindemith an seine Frau aus Amerika: „Die Künstlermaßnahme in Deutschland ist durchaus in der Linie der gesamten Unternehmungen des Reiches, die ausschließlich nur noch von Größenwahn, Sadismus und Rohstoffmangel diktiert zu sein scheinen. Ich komme mir immer vor wie die Maus, die leichtsinnig vor der Fallentüre tanzte und auch hineinging; zufällig, als sie gerade mal draußen war, klappte die Türe zu!“

Das Schaffen der 1930er Jahre
In den 1930er Jahren entstanden einige der wichtigsten Werke Hindemiths. Im Jahre 1935 war es das Konzert für Bratsche und Orchester „Der Schwanendreher“. Der Begriff Schwanendreher bezeichnete im Mittelalter einen Kochgehilfen, der einen Schwan am Spieß drehte, damit er gut durchgebraten werde. Allerdings hatte Hindemith bei seiner Komposition eine andere Bedeutung des Wortes im Sinn; es bezieht sich auf die mittelalterlichen Wandermusikanten, die Leierkasten oder Ninera spielten, deren Kurbeln in Form eines Schwanenhalses ausgeführt werden konnten. Aus dem Jahre 1935 stammen die Trauermusik für Bratsche und Streicher und vor allem die Oper Mathis der Maler, deren Sujet der Komponist in der ersten Fassung frei nach dem Leben des deutschen Renaissancemalers Matthias Grünewald, den Schöpfer des Isenheimer Altars, im Jahre 1933 librettistisch bearbeitet hatte. Er integrierte darin den aktuellen Machtmissbrauch und das Recht des Künstlers auf freie Gestaltung (z. B. in der Bücherverbrennungs-Szene). Das Libretto vollendete er im Juni 1935 und am 27. Juli desselben Jahres die ganze Oper. Für den Komponisten war Mathis ein Künstler, der seine Kunst aufgibt, um auf der Seite der Unterdrückten zu stehen. Doch am Ende wird er von ihnen bitter enttäuscht und erkennt, dass er das Beste an sich selbst verraten hat: seine Kunst. Er kommt zu der Erkenntnis, dass ein Künstler, der seine Fähigkeiten verrät, gesellschaftlich nutzlos bleibt. Eine Haltung, die Hindemith wohl auch vertreten hat, um dem wachsenden politischen Druck zu widerstehen.

Mitte 1933, während der Arbeit an der ersten Fassung des Librettos, hatte Hindemith von Wilhelm Furtwängler den Auftrag für eine Neukomposition für die Berliner Philharmoniker erhalten. Furtwängler wollte sich mit diesem Schritt auf die Seite des talentierten Schöpfers stellen. Aus den drei für die Oper Mathis der Maler vorgesehenen symphonischen Sätzen setzte Hindemith die gleichnamige Symphonie zusammen, die am 12. März 1934 mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Sowohl Hindemith als auch Furtwängler hatten geglaubt, dass dies der Oper den Weg auf deutsche Bühnen öffnen werde. Das Ergebnis war jedoch das Gegenteil, und die Uraufführung der Oper fand erst drei Jahre später, am 28. Mai 1938, in Zürich statt.

In der Tschechoslowakei wurde die Symphonie Mathis der Maler am 17. Oktober 1934, ein halbes Jahr nach der Berliner Uraufführung, von der Tschechischen Philharmonie unter Václav Talich erstaufgeführt. Am 4. Mai 1935 erklang sie auch im Philharmonischen Konzert des Orchesters des Neuen Deutschen Theaters unter der Leitung von Georg Széll.

Symphonie Mathis der Maler. Gustav Mahler Jugendorchester, Dirigent Herbert Blomstedt. BBC Proms 2010

Vereinigte Staaten
In die USA hatte Hindemith bereits 1930 erste Kontakte geknüpft, als er für das Elizabeth Sprague Coolidge Festival in Washington die Konzertmusik für Klavier, Blechbläser und Harfen op. 49 schrieb. Im selben Jahr entstand auch die Konzertmusik für Streichorchester und Bläser op. 50 im Auftrag des Dirigentn Sergei Koussewitzky zum 50. Jahrestag des Boston Symphony Orchestra. Seine erste Konzertreise an der Ostküste der USA unternahm Hindemith Ende März 1937, zu einem Zeitpunkt, als seine Musik in Deutschland bereits offiziell verboten war. Er spielte in Washington, Boston, Chicago, Buffalo und New York. In Chicago hat er seine Sonate für Bratsche Solo (1937) uraufgeführt. Von Februar bis April 1938 folgte eine Tournee in New England. Die längste, fast fünfmonatige Reise absolvierte er im Jahre 1939. Sein Ziel war klar – Hollywood. Nachdem er die Filmstudios besucht hatte, kam er jedoch desillusioniert zu dem Schluss: „Ich glaube, dass ich von der Idee, hier am Film irgendwas mitzumachen, (die noch durch die völlig wahnwitzige Idee, etwas künstlerisch Wertvolles hervorzubringen, gestützt war) ziemlich kuriert bin. Ernsthaft kann man das nicht betreiben.“ 

Hindemith sah in den Vereinigten Staaten zunächst das Land der „begrenzten Unmöglichkeiten“, schrieb nach einer tiefen Depression zudem an seine Frau: „Wenn es Dir nach Deiner Ankunft hier in diesem gottgesegneten Land auch so geht wie mir, werden wir ein erfreuliches Duett abgeben. Ich fürchte, ich werde mich niemals recht eingewöhnen; wenn die Geldgeschäfte einigermaßen laufen und die Zeitläufte nicht immer idiotischere Bahnen ziehen, kann man wirklich nur temporär hier sein, wenn man nicht verzweifeln oder sich dem Suff ergeben will – aber das Zeug hier schmeckt nicht einmal gut.“ Dennoch begann sich seine Einstellung allmählich zu ändern , bevor er im Februar 1940 endgültig in die USA übersiedelte, wenn auch nur zögernd, obwohl er mit einem bestätigten Lehrauftrag an der University of Buffalo, der Cornell University in Ithaca und dem Wells College in Aurora sowie mit einer von Koussewitzky angebotenen Stelle als Professor für Komposition an der Sommerakademie des Boston Symphony Orchestra in Tanglewood gute Positionen inne hatte. Anfang März 1940 erhielt er das entscheidende, man könnte sagen schicksalhafte Angebot für eine Vorlesungsreihe an der Yale University in New Haven, wo er mit seinen Leistungen so sehr glänzte, dass ihm ab dem Wintersemester von 1940–1941 die Stelle eines Gastprofessors angeboten wurde. „Unsere nächste Zukunft scheint gesichert,“ schrieb er am 7. April 1940 an seine Frau in die Schweiz, mit der Aufforderung, sie solle packen. 

Paul Hindemith dirigiert seine Konzertmusik für Streicherorchester und Blechbläser op. 50 aus dem Jahre 1930, die von Sergej Koussewitzky zum 50. Jahrestag der Gründung des Boston Symphony Orchestra in Auftrag gegeben worden war. Konzertaufnahme aus dem Jahre 1963. Chicago Symphony Orchestra, Dirigent Paul Hindemith

Yale University
In New Haven fand Hindemith ein neues Heim. „Es ist der erste Platz im Lande, wo ich fühle, dass man ein bisschen daheim sein könnte.“ Das Interesse der Universität war so groß, dass er sehr solide Bedingungen fordern konnte, zu denen im Wesentlichen eine völlige Neuorganisation des Musikunterrichts gehörte. Sein Kollege Leo Schrade, der ab 1938 an der Yale University angestellt war, beaufragte ihn mit der Leitung des Collegium Musicum; das Ensemble führte unter anderem Werke von Perotinus bis Johann Sebastian Bach auf. Allerdings kam es zwischen den beiden bald zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Praxis historischer Aufführungen; ab 1948 leitete Hindemith das Collegium Musicum allein. Während zehn Jahren stellte er mit dem Ensemble zwölf Konzertprogramme zusammen, in denen er sich möglichst getreu dem Interpretationsstil des 17. Jahrhunderts anzunähern versuchte.t Das Material hatte Hindemith persönlich aus den Manuskripten vorbereitet, womit er zu einem frühen Protagonisten der sogenannten Alte-Musik-Bewegung wurde. Ein Student notierte hierzu: „Das Collegium Musicum gilt als das außergewöhnlichste Musikerlebnis, das man an der Universität machen kann.“ 

Paul Hindemith spielte auch Viola da gamba und Viola d’amore, für die er im Jahre 1922 die Kleine Sonate op. 25 komponiert hat. Seine Kenntnisse des Kontrapunkts hat er im Jahre 1942 in seinem Zyklus von Präludien und Fugen nach dem Vorbild von Bachs Wohltemperiertem Klavier unter dem Titel Ludus tonalis gezeigt.

Im Klavierzyklus Ludus tonalis hat Paul Hindemith seine Leidenschaft und Vorliebe für die Musik Johann Sebastian Bachs gezeigt. Nach dem Vorbild von dessen Wohltemperiertem Klavier hat er zwölf durch Interludien verbundene Fugen in verschiedenen Tonarten komponiert. Svjatoslav Richter, 1985

Amerikanisches Vermächtnis
Nach dem Eintritt der USA in den Krieg galt Hindemith, ein deutscher Staatsbürger, für die US-Behörden als „feindlicher Ausländer“. Er durfte nicht reisen und führte ein anonymes Leben in New Haven. Er beschränkte sich auf Sommeraufenthalte in New England, sein Haus in der West Elm Street war dank seiner Freunde und Studenten von Musik erfüllt. Im Januar 1946 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, die er bis zu seinem Tod behielt. Hindemiths Einfluss auf die Musiklandschaft der Vereinigten Staaten ist nicht zu unterschätzen. Als Professor für Komposition, Musiktheoretiker, Initiator der historisch informierten Aufführungspraxis und vor allem als erfolgreicher Komponist, dessen Musik von der Presse durchweg positiv aufgenommen wurde, hatte er weitreichenden Einfluss. Unter seinen Schülern finden sich hervorragende Instrumentalisten, Theoretiker, Dirigenten, Musikwissenschaftler und Komponisten. Für seine Arbeit in den USA erhielt er zahlreiche Auszeichnungen: die Howland Memorial Prize Medal der Yale University (1940) sowie Ehrendoktorate der Philadelphia Academy of Music (1945) und der Columbia University (1948). Im Jahre 1940 wurde er Ehrenmitglied des Institutes of Arts and Letters, nach seiner Einbürgerung reguläres Mitglied. In den Jahren 1949–1950 hielt er aufgrund einer Einladung von Charles Eliot Norton zudem eine Serie von Vorlesungen am Lehrstuhl für Poetik der Harvard University, die er in seinem Buch A Composer's World ausarbeitete. Im Jahre 1952 erhielt er dann den New York Music Critics' Circle Award für das beste Kammermusikwerk der Saison, 1961 eine Einladung von Präsident John F. Kennedy. Hindemith hatte in den USA nicht nur kompositorischen Erfolg und großen Einfluss erlangt, sondern Weltruhm, ohne seine musikalische Sprache grundlegend zu ändern. 

Die Rückkehr nach Europa
Seine erste Reise nach Europa nach dem Krieg unternahm er von April bis September 1947. Nach vielen Jahren hatte er wieder seine Familie gesehen und seine Freunde Ludwig und Willy Strecker vom Schott-Verlag besucht. 1949 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Frankfurt verliehen, ein Jahr danach jene der Universität Berlin, 1951 verlieh ihm die Stadt Hamburg den J. S.-Bach-Preis. Dennoch hatte sich Hindemith nicht mehr dauerhaft in seinem Heimatland niedergelassen und jegliche Angebote, an der Erneuerung des dortigen kulturellen Lebens teilzunehmen, entschieden abgelehnt. „Für sie alle ist man lediglich ein Spielstein, den sie mit aller Gewalt in ihrem Egoismus in die für sie beste Stellung zu schieben versuchen, um damit das Günstigste für sich herauszuschlagen. Und das alles mit der Berufung auf den künstlerischen Idealismus!“, schrieb er im Juli 1946 an seinen Freund Willy Strecker. Im Jahre 1951 nahm er die Stelle des Professors für Komposition, Musiktheorie und -pädagogik an der Universität in Zürich an und wirkte dann zwei Jahre abwechselnd in Zürich und in Yale. Wenn er keine Vorträge hielt, nutzte er die Zeit für Konzerte und Vortragsreisen durch Europa und zur Fertigstellung einer Neufassung der Oper Cardillac, die im Juni 1952 in Zürich uraufgeführt wurde. 1953 kehrte er endgültig aus den USA nach Europa zurück. In der Schweiz kaufte er die Villa La Chance im Dorf Blonay am Genfersee.

Die Harmonie der Welt
Die Oper Die Harmonie der Welt über Johannes Kepler fasst Hindemiths musiktheoretische und ästhetische Ansichten auf eine Weise zusammen, wie sie in seinem Schaffen sonst nirgendwo zu finden sind. Die ersten Gedanken zu dieser Oper stammen aus dem Jahre 1940. Zu Weihnachten 1941 entstand das Motetto In principio erat Verbum, dessen Melodie als Grundlage der 1. Szene dient. Im 1951 schuf Hindemith analog zur Oper Mathis der Maler die Symphonie Die Harmonie der Welt, was er wie folgt kommentierte: „Die drei Sätze sind konzertmäßig verarbeitete Musikstücke aus einer Oper. Diese handelt vom Leben und Wirken Johannes Keplers, den ihn fördernden oder hindernden Zeitereignissen und dem Suchen nach der Harmonie, die unzweifelhaft das Universum regiert.“ Das Libretto wurde unter großem Druck im Jahre 1956 geschrieben, die Partitur im Mai 1957 vollendet. Die Uraufführung fand am 11. August 1957 am Prinzregententheater in München unter der Leitung des Komponisten statt.

In der Oper Die Harmonie der Welt fasst Paul Hindemith seine musiktheoretischen und ästhetischen Ansichten zusammen. Das Musikdrama über Johannes Kepler wurde 1957 in München uraufgeführt. Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Dirigent Marek Janowski

Lebesende
Aufgrund zahlreicher Solisten- und Dirigentenverpflichtungen gab Hindemith 1957 seine Stelle in Zürich auf und widmete sich für den Rest seines Lebens ausschließlich der Konzert- und Kompositionstätigkeit. Er dirigierte die besten europäischen Orchester wie die Berliner oder Wiener Philharmoniker oder das London Symphony Orchestra. Im Jahre 1954 absolvierte er eine Tournee durch Südamerikat, 1956 mit den Wiener Philharmonikern durch Japan und am Ende seines Lebens kam er wieder als Dirigent in die USA. Neben Symphoniekonzerten widmete er sich auch der Oper, dirigierte allerdings ausschließlich eigene Werke. Sein letztes Werk ist die Messe für gemischten Chor a cappella aus dem Jahre 1963. Paul Hindemith starb nach mehreren Schlaganfällen am 28. Dezember 1963 in einer Frankfurter Klinik. Er hinterließ fast fünfhundert Kompositionen unterschiedlichen Charakters und für vielfältige Besetzungen.

Das letzte Werk Hindemiths ist die Messe für gemischten Chor a cappella aus dem Jahre 1963, in der sich seine perfekte Kenntnis der alten Musik widerspiegelt, die er mit modernen Elementen der Musik des 20. Jahrhunderts zu verbinden verstand. SWR Vokalensemble Stuttgart, Chormeister Marcus Creed. 2023

Hindemiths Besuche in der Tschechoslowakei
Paul Hindemith hatte die damalige Tschechoslowakei zum ersten Mal im Jahre 1922 besucht, sein letzter Auftritt hier war am 27. Mai 1961 beim Festival Prager Frühling. Insgesamt war er 21 Mal in Tschechien, Mähren und Schlesien. Im Wirtshaus „U Rady“ in Ostrava befindet sich sogar ein Gedenkblatt dieses „Ostrauer Stammgastes“ mit seiner Unterschrift. In einem der Briefe an Jaroslav Vogel, in den Jahren 1927–1943 Direktor des Theaters in Ostrava (Mährisch-schlesisches Nationaltheater), schrieb er mit seinem charakteristischen Sinn für Humor: „Wenn ich längere Zeit nicht in Ostrava bin, geht es mir schlecht wie Menschen, denen es an Vitamin C mangelt.“ Eine Freundschaft verband den Komponisten nicht nur mit dem Dirigenten Jaroslav Vogel, sondern auch mit der Pianistin Emma Kovárnová und dem Bassklarinettisten Josef Horák – beide bildeten das Ensemble Due Boemi di Praga – und vor allem mit dem Bratschisten Ladislav Černý, dem er 1922 die damals gerade vollendete Sonate für Viola Solo op. 25 Nr. 1 gewidmet hatte. Paul Hindemiths Freundschaft mit Alois Hába reicht bis ins Jahr 1921 zurück, als Hábas Streichquartett Nr. 1 in Donaueschingen uraufgeführt wurde. Zwei Jahre danach brachte das Amar-Quartett Hábas Streichquartett Nr. 3 op. 12 im Vierteltonsystem zur Uraufführung, das Paul Hindemith gewidmet ist. Im Jahre 1932 nahmen Hába und Hindemith am Internationalen Kongress für Arabische Musik in Kairo teil. „Mit Dankbarkeit und Liebe erinnere ich mich an einen lieben Freund, Paul Hindemith, für seine bedeutende, selbstlose und großzügige Unterstützung bei meiner Entwicklung und der Entwicklung der Vierteltonmusik. Ich schätze mit Bewunderung sein Lebenswerk, das einen sehr wichtigen Teil der Entwicklung der zeitgenössischen Musik darstellt“, schrieb Alois Hába in einem Nachruf auf Hindemiths Tod in der Zeitschrift Hudební rozhledy.

Nicht nur Künstler
Paul Hindemith hatte zahlreiche Hobbys, etwa das Spiel mit seiner dreihundert Meter langen Modelleisenbahn. In den 1930er Jahren teilte er diese Leidenschaft in Berlin mit einer Reihe herausragender Persönlichkeiten, darunter dem Pianisten Artur Schnabel oder dem Pathologen und Dichter – dem Autor der umstrittenen Morgue-Sammlung – Gottfried Benn. Die Schweizer Cembalistin Silvia Kind, die bei Hindemith in Berlin studierte, beschrieb ihr Treffen wie folgt: „Er besaß damals 300 Meter Schienen, die raffiniertesten elektrischen Bahnen mit Fernweichen und Signalen. Sonntags konnte er sich hinsetzen und einen minutiösen Fahrplan ausarbeiten, der jedem Stationsvorstand Ehre gemacht hätte. Die Stunden im Normalbetrieb galten Minuten, die Minuten Sekunden. Wenn die Mitwirkenden bei einander waren, wurde einen halben Tag durch drei Zimmer hindurch aufgebaut. Nachmittags ging es los; jeder bekam einen Fahrplan und eine Stoppuhr und musste einen Zug bedienen, der genau die angegebenen Halte- und Ausweichstellen einhalten und zur richtigen Sekunde ankommen mußte. Frau Hindemith erzählte, dass oft morgens um 2 oder 3 Uhr die Männer (besonders wenn Artur Schnabel – auch ein großer Eisenbahnverrückter – dabei war) erschöpft und bleich bei ihr um einen Schnaps baten.“

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