Nadia Boulanger (1887–1979) und Marie-Juliette „Lili“ Boulanger (1893–1918) entstammten einer prominenten, gut situierten Pariser Familie, deren Mitglieder sich mit verschiedenen Erfolgen auf dem Gebiet der Musik und des Theaters ausgezeichnet haben. Der Vater, Ernest (1815–1900), hat im Jahre 1835 den renommierten Musikpreis Prix de Rome gewonnen, die Mutter Raïssa (1858–1935), vermutlich eine russische Adelige, war seine Schülerin im Gesang am Pariser Konservatorium. Zu den Familienfreunden der Boulangers gehörten Gounod, Saint-Saëns, Fauré, Dupré und viele andere französische Musiker. Nadia und Lili sind in einem musikalisch und intellektuell anregenden Umfeld aufgewachsen und auch ihr Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Nadia hat angeblich bereits mit 10 Jahren beide Teile von Bachs Wohltemperierten Klavier auswendig gekonnt, bei der zweijährigen Lili wurde das absolute Gehör entdeckt und mit 5 Jahren hat sie, gemeinsam mit ihrer Schwester, mit dem Musikunterricht am Pariser Konservatorium begonnen. Das Lied Le retour (Die Rückkehr) hat Lili Boulanger im Jahre 1912 komponiert, als sie offiziell an das Konservatorium aufgenommen wurde. Im selben Jahr hat sie versucht, den mit einem Stipendium dotierten Prix de Rome zu erhalten, musste jedoch krankheitsbedingt vom Wettbewerb zurücktreten. Ein Jahr danach hat sie der Preis bereits gewonnen und war so die erste Preisträgerin in der Geschichte dieses anspruchsvollen Wettbewerbes; dies ist ihr im Alter von 19 Jahren gelungen, wie seiner Zeit ihrem Vater. Das Lied Dans l'immense tristesse (In großer Trauer) ist vier Jahre danach, im Jahre 1916 entstanden, unter dem Eindruck des Krieges und ihres sich immer verschlechternden Gesundheitszustandes. Sie ist zwei Jahre danach, mit nur 24 Jahren gestorben. Nadia Boulanger hat ihre Schwester um volle einundsechzig Jahre überlebt. Der Tod ihrer geliebten Schwester hat sie jedoch hart getroffen und ihren Abschied von der Komposition beeinflusst; im Vergleich mit ihrer Schwester hat sie ihr eigenes Schaffen als „nutzlos“ bezeichnet und sich als Dirigentin und Pädagogin etabliert. Das Lied L’échange (Der Austausch) nach einem Gedicht von Camille Mauclair aus dem Jahre 1922 über eine Frau, die ihrer Liebe einem Alkoholiker schenkt, gehört zu ihren letzten Werken.
Sláva Vorlová (geb. Miroslava Johnová, 1894–1973), auch unter dem Pseudonym Mira Kord bekannt, gehört zweifellos zu den wichtigsten tschechischen Komponistinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr Liederzyklus Stesk (Die Klage) op. 13 hängt mit einem tragischen Erlebnis ihres Lebens zusammen, als sie am letzten Tag des Zweiten Weltkrieges, dem 8. Mai 1945, Zeugin der brutalen Hinrichtung ihres Mannes, Rudolf Vorel, durch die Nazis war. Danach hat sie unter einer schweren Depression und Schaffenskrise gelitten, bis sie im Jahre 1946 auf die Gedichtsammlung von Olga Scheinpflugová gestoßen, die als Reaktion der Dichterin auf den Tod ihres Gatten, des Schriftstellers Karel Čapek, entstanden war. „Erst dieses kleine Buch hat es geschafft, dass ich in wenigen Tagen einen Zyklus von zehn Liedern fertiggestellt hatte. Das waren harte Tage und die Lieder waren meine Erlösung,“ hat Sláva Vorlová notiert. Der am 2. August 1946 vollendete Zyklus, für den sie den Titel der Gedichtsammlung übernommen hatte, hat die Komponistin zurück zur schöpferischen Arbeit gebracht. Er verwendet viele Metaphern: den Kreuzweg als Metapher für das menschliche Leben, oder ein Wiegenlied, „gesungenes für die verlorene Liebe, die durch den Märtyrertod gestorben ist“. Dieses Hauptwerk wird von einem früheren Opus, Drei Lieder für mittlere Stimme und Klavier op. 2 nach eigenen Texten der Komponistin aus dem Jahre 1934, und einem späteren Zyklus Kurze Erwägungen op. 86 aus dem Jahre 1971 nach Gedichten von Miroslav Holub umrahmt.
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Das Schaffen von Vítězslava Kaprálová (1915–1940) wurde bereits beim Eröffnungskonzert des Zyklus „Frauen in der Musik“ teilweise vorgestellt. Dieses Mal werden die Zuhörer Gelegenheit haben, ihre Lieder kennenzulernen, eine Gattung, der sie – dank ihres familiären Umfelds – sehr nahestand. Es werden ihre in den Jahren 1932–1936 entstandenen Liederzyklen aufgeführt, also aus der Zeit, als sie nach dem Abschluss am Konservatorium in Brünn in der Meisterschule Vítězslav Nováks am Prager Konservatorium ihr Studium fortgesetzt hat: Zwei Lieder nach Texten von R. Bojko op. 4, der Zyklus Jablko s klína (Apfel vom Schoß) op. 10 nach Gedichten von Jaroslav Seifert und das Lied Leden (Januar) aus dem Jahre 1933 für höhere Stimme und Kammerensemble (Flöte, zwei Violinen, Violoncello und Klavier) nach einem Gedicht von Vítězslav Nezval.
Das Leben von Alma Mahler (1879–1964) war mit mehreren berühmten Männern verbunden – mit Gustav Klimt, Alexander Zemlinsky, Walter Gropius, Franz Werfel, und selbstverständlich mit Gustav Mahler. Alma war jedoch mehr als nur eine passive Muse. Neben literarischem war sie auch mit musikalischem Talent begabt, was auf jeden Fall Beachtung verdient. Als sie mit ihren 22 Jahren Gustav Mahler heiratete, wurde sie von ihm gezwungen, ihre künstlerischen Ambitionen zugunsten ihrer Beziehung aufzugeben, was Mahler offenbar später bereut hat, als Alma begann, sich deshalb von ihm zu distanzieren. Später hat er sein Ansinnen geändert, im Jahre 1910 sogar einige ihrer Lieder revidiert und sich um ihre im selben Jahr verwirklichte Herausgabe im Wiener Verlag Universal Edition eingesetzt. Die spätromantischen, zwischen 1901–1911 entstandenen Vier Lieder sind erst nach Mahlers Tod, im Jahre 1915, erschienen.
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